Physik und Chemie können interessante Einblicke in das
Kochen liefern. Durch die Anwendung naturwissenschaftlicher Prinzipien
sind wir in der Lage althergebrachte Meinungen zu überprüfen
- manchmal werden sie auch widerlegt. Wer ein Rezept lesen kann,
der kann kochen. Wer aber weiß was dahinter steckt, der
kann besser kochen. Betrachten wir einige naturwissenschaftliche
Prinzipien anhand eines delikaten Weihnachtsmenüs:
Die Zubereitung dieses Menüs wurde in Modern Times am 21.12.2001 gezeigt - einfach nur im Archiv suchen !
Eine kräftige Rindsuppe:
Hier kommt das Prinzip der Osmose und Diffusion zur Anwendung. Aus diesem Grund bereiten wir zuerst eine Kalbsknochensuppe zu. Diese Suppe besteht aus ein paar zerhackten Kalbsknochen, Wurzelwerk, einer leicht angebrannten Zwiebel, 2 kleinen Tomaten, einer Zehe Knoblauch und rund 2 Liter Wasser.
Aus den Knochen und dem Gemüse lösen sich Salze und Geschmacksstoffe heraus. Wenn diese Suppe ausgiebig gekocht wurde - rund 20-30 Minuten - dann können wir sie abseihen und erst in dieser Suppe wird das Rindfleisch gekocht. Ziemlich aufwendig, aber es gibt einen triftigen Grund.
In Inneren des Rindfleisches befindet sich Salz. Wenn man das
Rindfleisch in normalem Wasser kocht, dann versucht das kochende
Wasser in das Innere der Zellen des Rindfleisches einzudringen.
Das Salz im Inneren des Rindfleisches wird verdünnt. Das
Fleisch wird dabei sehr saftig, die Suppe bleibt aber geschmacklos.
Wenn man umgekehrt das kochende Wasser salzt, dann versucht das
Wasser aus den Zellen des Rindfleisches die erhöhte Salzkonzentration
des umgebenden Wassers zu verdünnen. Die Suppe ware zwar
sehr würzig, das Rindfleisch aber fad und trocken. Dies sind
die Effekte der Osmose und Diffusion.
Wenn die Salzkonzentration im Wasser und im Rindfleisch ungefähr
gleich groß ist, bleibt das Rindfleisch saftig und die Suppe
ist kräftig. Da eine Kalbsknochensuppe ungefähr denselben
Salzgehalt wie ein Stück Rindfleisch hat, ist sie ideal geeignet,
um eine Rindsuppe mit Fleisch zu kochen.
Aus diesem Grund legen wir das Rindfleisch in die abgeseihte Kalbsknochensuppe. Die Gewürze Lorbeerblatt, etwas geschabte Muskatnuß, ein paar Pfefferkörner, zerstoßener Wacholder, etwas Bohnenkraut und Liebstöckel werden in ein Teeei gegeben. Damit können sie später leichter entfernt werden. Etwas Gemüse und das Rindfleisch in der Kalbsknochensuppe bei geringer Hitze ziehen lassen.
Es gibt die Regel, daß wenn man den Tafelspitz in heißes
beziehungsweise in kaltes Wasser legt, das Fleisch saftig, beziehungsweise
die Suppe kräftig wird. Diese Regel ist aber so nicht ganz
richtig - wesentlich ist der Salzgehalt des kochenden Wassers.
Trotzdem sollte das Wasser nicht kochen. Bei zu hohen Temperaturen
beginnt sich das Fleisch zusammenzuziehen und der Saft wird aus
dem Stück Rindfleisch herausgepreßt. Es entstehen auch
Dampfbläschen, die dazu führen, daß sich kleine
Flankerl von der Oberfläche des Fleisches ablösen -
dies trübt die Flüssigkeit.
Also die Suppe nur ziehen lassen, oder wie man im chinesischen
sagt, die Suppe sollte nur lächeln.
In den Suppenteller ein paar Fritatten geben, einige Stücke Gemüse und ein paar Fleischwürfel mit der heißen Suppe übergießen. Mit Schnittlauch garnieren.
Die traditionelle Weihnachtsgans mit verschiedenen Geschmäckern:
Ich verwende für die Weihnachtsgans
gerne Gefriergänse (mit Hafer gefüttert). Diese Gänse
haben einen schlechten Ruf, der aber nicht gerechtfertigt ist.
Freilandgänse haben zwar einen besseren Ruf, aber leider
sind Sie aus naturwissenschaftlicher Sicht schwerer zu beschreiben.
Manche Freilangänse sind faul, manche sind richtig sportiv.
Das Geflügel, das sich viel bewegt, wird mehr Kollagen bilden.
Dieses Kollagen umhüllt die Fleischfasern und leider sorgt
es auch für die Zähigkeit des Fleisches. Das heißt,
sportliche Gänse bilden eine ausgeprägte Kollagenstruktur
und sie müssen länger braten als die faulen Gänse.
Die Gans sollte man rund 2 Tage vorher mit Salz stark einreiben
und dann im Kühlschrank lagern. Die Gans wird dabei etwas
Wasser verlieren, aber das stellt kein Problem dar. Bevor die
Gans zubereitet wird, sollte sie nochmals mit Salz eingerieben
werden. Ohne Salz würde die Gans nicht diesen wunderbaren
Geschmack bekommen.
Beim Braten von Gänsen stellen sich zwei interessante
physikalische Aufgaben:
1) Wie lange darf die Gans braten ?
2) Wie geben wir der Gans mehrere Geschmäcker ?
Zum 1. Problem: die Bratdauer
Die Bratdauer hängt von der Größe der Gans und
der Backrohrtemperatur ab. Die Wärme muß in das Innere
der Gans strömen und dort eine bestimmte Temperatur erreichen.
Die Innentemperatur sollte zwischen 70 und 80 °C liegen. Bei
diesen Temperaturen ist das Eiweiß schon
geronnen, und das Kollagen beginnt sich aufzulösen. Das Kollagen
ist für die Zähigkeit des Fleisches verantwortlich -
wenn es sich auflöst, wird das Fleisch der Gans zarter. Umgekehrt
darf die Temperatur im Inneren nicht zu hoch sein, denn die übrigen
Kollagenfasern würden sich zusammenziehen und der Fleischsaft
würde herausgepreßt werden - es wäre ewig schade
darum. Die Gans wäre trocken.
Also: Angenommen die Gans sei eine Kugel - was in erster Näherung
durchaus stimmt - dann gibt es einen Zusammenhang zwischen dem
Radius und dem Gewicht des Tieres: der Radius ist proportional
zur dritten Wurzel der Masse. Wir müßen also nicht
mit einem Maßband den Umfang und daraus den Radius bestimmen,
es gilt:
Die Bratdauer ist proportional zu und
daraus folgt
. Natürlich müssen noch
die Backrohrtemperatur und die gewünschte Innentemperatur
berücksichtigt werden. Mit Hilfe der Thermodynamik kann man
die genaue Bratdauer berechnen, leider ist die Formel ziemlich
kompliziert. Mit folgender Näherungsformel kann man sich
ganz gut helfen:
Die Masse m wird in Kilogramm angegeben - das Gewicht der Gans, TBA ist die eingestellte Backrohrtemperatur und TZentrum ist die gewünschte Innentemperatur. Empfehlenswert ist TBA=220°C und TZentrum=75°C. Die Konstante k muß einfach nur eingesetzt werden - k=0.0008526. Daraus ergibt sich die Bratdauer in Minuten - eher unüblich in der Physik, aber praktisch.
Wenn der Radius, beziehungweise das Gewicht, die gewünschte Innentemperatur und die Backrohrtemperatur bekannt ist, dann können Sie in die Formel einsetzen - oder einfach aus der Tabelle ablesen:
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1.0 kg |
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2.0 kg |
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3.0 kg |
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3.2 kg |
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3.4 kg |
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3.6 kg |
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3.8 kg |
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4.0 kg |
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4.5 kg |
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5.0 kg |
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5.5 kg |
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6.0 kg |
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Diese Formel gibt die maximale
Bratdauer von gefülltem Geflügel in Minuten an. Wenn
Sie die Gans nicht füllen, dann verringert sich die Bratdauer
um ungefähr ein Drittel. Manchen wird die Zeit für die
Bratdauer für diese Temperaturen zu gering erscheinen. Aber
die Physik lügt nicht. Die Regel "rund eine Stunde Bratdauer
pro Kilogramm" kommt noch von einer Zeit, als die Öfen
nicht so heiß waren und die Gänse noch sportlich waren.
Man riskiert nur, daß die Gans trocken wird - genau das
wollen wir vermeiden. Natürlich ist diese Formel nur eine
Näherung, das heißt bei niederen Temperaturen ändert
sich durch verschiedene Mechanismen der Wärmeübertrag
- die Formel wird dann versagen. Wenn Sie das Nieder-Temperaturverfahren
anwenden - also die Gans nur mit rund 75-80°C erwärmen,
dann benötigen Sie 1. den geeigneten Herd und 2. viel Zeit,
denn die Gans wird erst nach 5-7 Stunden fertig sein. Wenn die
Gans mit niederen Temperaturen gegart wird, dann ziehen sich die
Kollagenfasern nicht zusammen und die Gans bleibt sehr saftig
- allerding dauert es dementsprechend lange. Eine dafür geeignete
Formel für das Niedertemperaturverfahren wird entwickelt
- ich bitte um etwas Geduld.
Zum 2. Problem: Wie geben wir der Gans verschiedene Geschmäcker
?
Wir können der Gans nun zusätzlichen Geschmack verleihen
- und dies sogar in mehrfacher Weise. Man könnte die Gans
in eine Beize legen - dies wäre wieder eine Anwendung der
Osmose. Leider legt die Beize nur rund 10mm pro Tag im Inneren
des Fleisches zurück. Dies würde rund 6 Tage dauern.
Also injizieren wir die geschmacksaktiven Stoffe direkt in
das Fleisch der Gans. Damit können wir auch unterschiedliche
Geschmacksbereiche herstellen. Ich habe mich für Ananas,
Orange, Feige und Original entschieden. Frischer Ananas- und Feigensaft
lösen auch die Kollagenfaser auf. Die Gans wird dadurch zarter.
Das Enzym Papain löst die Kollagenfasern auf, aber das benötigt
etwas Zeit - ein paar Stunden. Leider wird dieses Enzym bei höheren
Temperaturen zerstört - Dosensäfte sind pasteurisiert,
dabei wird das Papain zerstört. Deshalb muß der Saft
frisch sein und darf nicht erhitzt werden.
Sie können natürlich auch mit anderen Geschmacksrichtungen
experimentieren - über Geschmack läßt sich nicht
streiten.
Wir unterteilen die Gans in 4 Quadranten und in jeden wird eine eigene Geschmacksrichtung injiziert. Nur in einem Bereich verändern wir nichts. Damit kann man den Geschmacksunterschied besser feststellen. Ich persönlich empfehle die Politik der tausend Nadelstiche. Man sollte eine 5ml Spritze und eine relativ starke Injektionsnadel (rund 1-1.5 mm) verwenden. Wenn man die Spitze drückt, und nichts geht weiter - kein Saft wird injiziert, dann sollte man die Nadel wechseln. Man erspart sich damit einen unangenehmen Sprühregen von Ananassaft in der Küche. Die Nadeln verstopfen gerne.
Es ist sinnvoll die Gans zu füllen. Es ist zwar eine Patzerei, aber man braucht sich nicht mehr um die Beilage kümmern. Die Gans kann man auf die unterschiedlichste Art füllen.
Zum einen gibt es die klassische Semmelknödelfülle: Semmelknödelbrot in eine große Schüssel geben, einen Eßlöffel Petersilie, eine Prise Salz und ein ganzes Ei unterrühren. Rund ein Viertel Liter Milch bis zum fast Übergehen erhitzen und mit den Semmelknödelwürfeln vermengen. Meist muß man noch ein paar Würfel dazugeben - es sollte ein sehr fester Teig entstehen. Diesen Teig sollte man rund 2 Stunden stehen lassen. Danach den Teig nocheinmal kräftig umrühren und mit rund 2-3 Eßlöffel Mehl vermengen. Jetzt gibt es mehrere Möglichkeiten:
Danach wird die Gans mit heißer Butter eingestrichen und in einen Gänsebräter gelegt. Dabei handelt es sich um eine spezielle Bratpfanne. Nachdem wir etwas heißes Wasser - rund einen halben Liter - hinzugegeben haben, können wir den Deckel drauf geben und ab ins vorgeheizte Backrohr. Ich verwende eine Backrohrtemperatur von rund 220°C.
Nach rund einer Stunde wird die Gans gewendet, damit die Wärme gleichmäßiger in das Fleisch und die Fülle eindringen kann.
Kurz bevor die Gans fertig ist
(rund 8-10 Minuten), können wir mit einem einfachen Trick
der Gans noch etwas Farbe mit auf ihren Weg in den Magen mitgeben.
Die Gans wird mit einer zuckerhaltigen Lösung - hier ist
es Orangensaft, Honig und Weißwein -bestrichen. Bei hohen
Temperaturen beginnt der Zucker zu karamelisieren, die Maillard-Reaktion
setzt ein und die Gans wird schön knusprig braun. Jetzt muß
die Gans nur mehr für 8 Minuten ins Backrohr bei einer sehr
hohen Temperatur - was das Backrohr hergibt.
Danach sollte die Gans rund 10 Minuten rasten. Dabei entspannen sich die Kollagenfasern und es wird weniger Saft beim Tranchieren austreten. Mit einer halbierten gekochten Birne und etwas Preiselbeeren servieren.
Der Nachtisch
Orangeneis mit Schokolade und Mandelsplitter:
Wir nehmen einfach ein Glas Orangenmarmelade, ein Viertel Liter
Schlagobers und 2 Eßlöffel Staubzucker. Zuerst wird
die Orangenmarmelade stark verrührt. Danach schlagen wir
in einem getrennten Gefäß das Schlagobers mit dem Staubzucker
zu einer festen konsistenten Masse. Es sollten sich viele Luftbläschen
im zukünftigen Eis bilden. Wir vermengen vorsichtig die Orangenmarmelade
mit dem Schlagobers. Das Ganze wird nun in ein Kunststoffgeschirr
gefüllt und in den Eisschrank gestellt. Wenn die Oberfläche
leicht angeeist ist, sollte man die Masse noch einmal kurz umrühren.
Die Eiligen können auch flüssigen
Stickstoff - die Temperatur beträgt -196 Grad Celsius - verwenden.
Durch den flüssigen Stickstoff entstehen viele kleine Luftbläschen,
die Wasserkristalle bleiben klein - und das Eis wird schön
cremig.
Mit einem Löffel Nockerl formen und mit etwas Schokoladesauce übergießen, mit Mandelsplittern dekorieren.
Ich wünsche schöne Feiertage und mögen alle ihre Speisen gelingen.
Werner Gruber